Alexander
Ruhe: 1906 - Der Aussätzige - die Odyssee
eines jüdischen Rumänen quer durch Europa. Februar 2024
Ein Artikel aus der Reihe:
Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Im Jahre 1906 war die Lepra noch eine unheilbare Krankheit und immer
wieder konnte man in den Zeitungen von einzelnen Ausbruchherden auch in
Europa lesen. Im August kam dann der etwa fünfzigjährige David Eisemann nach
Frankfurt. Durch eine italienische Reisebekanntschaft war David hier in
Frankfurt sein Gepäck abhanden gekommen. So meldete er sich hier beim
israelitischen Hilfsverein und bat um Unterstützung. Nebenbei bemerkte er,
er käme aus London, wo er auf Lepra behandelt worden sei!
Solche Geschichten hörte man auch auf der Sozialfürsoge nicht gerne und
sofort wurde die Polizei informiert und David Eisemann wurde verhaftet
und in die städtischen Kliniken eskortiert, aber, wie schon gesagt, war die
Lepra, der Aussatz damals noch unheilbar und der israelische Hilfsverein
sammelte Geld um Eisemann die Fahrt nach Rumänien zu bezahlen, wo der aber
eigentlich gar nicht hin wollte.
In einem versiegelten Abteil schickte man den Aussätzigen, der sich die
Krankheit beim Eisenbahnbau in Äthiopien zugezogen hatte und der ein
gebildeter Mann war, der acht Sprachen sprach, nach Rumänien. In Passau, an
der deutsch-österreichischen Grenze endete die Reise aber erst einmal, dern
die österreichischen Behörden wollten einem Leprakranken auf keinen Fall den
Transit durch ihr Land erlauben, zudem auch gar nicht klar war, ob Rumänien,
ein Land, in dem Eisemann schon seit 20 Jahren nicht mehr gewesen war, ihm
überhaupt die Einreise gestatten würde.
Mitten im Sommer schob man in Passau jetzt Eisemanns Waggon auf ein
Abstellgleis und ließ in drei Tage dort stehen. Das Essen wurde ihm durch
das Fenster hineingereicht, wie es um seine Notdurft bestellt war, wird in
den Zeitungen, die europaweit darüber berichteten, aber nicht erwähnt.
Der Waggon wurde nun wieder an einen Zug in Richtung Frankfurt
angehängt, wo Eisemann in die Isolationsbaracke der städtischen Kliniken
einzog. Man fragte nun in London an, ob man ihn da zurücknehmen würde, aber
die Briten winkten ab; Eisemann sei nach seiner Behandlung schon im Mai aus
Großbritannien ausgereist und befinde sich nun schon seit drei Monaten in
Deutschland, sei also ein deutsches Problem.
In Frankfurt wurde David Eisemann nun eingehender untersucht und man
stellte fest, dass er nur an einer leichten Form der Lepra leide und
keineswegs sei die Lepra unheilbar und man gehe im Gegenteil davon aus, dass
Eisemann geheilt werden könne, aber nicht hier, sondern in Memel (dem
heutigen Klaipeda in Litauen), wo es ein Leprahospital, direkt an de
russischen Grenze gäbe. Für Eisemann ging die Reise also weiter.
Wider Erwarten konnte Eisemann aber auch in Memel nicht geheilt werden
und im Juni 1907 befand er sich in einer Quarantänestation in Stettin, an
der Ostsee. Eisemann hatte nun alle Hebel in Bewegung gesetzt und Rumänien
hatte sich bereit erklärt, ihn wieder aufzunehmen. Begleitet von einem
Polizisten und einem Krankenwärter fuhr man ihn nun nach Krakau, das damals
noch zu Österreich gehörte und dann einmal quer durch Galizien und die
Bukowina an die rumänische Grenze. Wie es ihm in Rumänien ergangen ist, ist
nicht überliefert.
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